Unternehmensnachfolger in Sachsen um die Mitte 30 beobachten oftmals folgendes Phänomen: Da kommen sie ambitioniert, gut vorbereitet und voller Tatendrang in das neue Unternehmen. Setzen sich mit den Zahlen auseinander, sprechen mit allen Mitarbeitern, kategorisieren Wachstumspotenziale, entwickeln Prozessverständnis. Tolerieren großzügig die kollegialen Rituale, Kaffeepausen und Marotten. Ist ja schließlich die gewachsene Unternehmenskultur. Und in den ersten 100 Tagen soll man sich ja eh ruhig verhalten und erst einmal alles beobachten. Nach einer Weile wundert sich der oder die Neue; warum sagen die Kollegen nichts? Warum haben sie keine Vorschläge zu neuen Maschinen, für Produkte, Abläufe? Haben die keine Lust?
Als zu Beginn der 90er Jahre die erste Gründungswelle Sachsen erfasste, waren Macher gefragt. Unternehmer, die Verantwortung übernehmen und zupacken. Und viele Menschen waren froh, dass da einer die Zügel in die Hand nahm und Richtung und Aufgaben diktierte. Ihnen eine Perspektive gab. Aufgrund der Gegebenheiten entwickelte sich daraus ein eher autoritärer Führungsstil. Beschrieben hat diese Art und Weise der Führung bereits in den 1930er Jahren Kurt Lewin (1890-1947), der Begründer der modernen Sozialpsychologie (mehr dazu). Autoritär werden Anweisungen gegeben und Aufgaben verteilt, ohne Mitarbeiter in die Entscheidung einzubeziehen. Widerspruch oder Kritik wird nicht geduldet. Was natürlich langfristig dazu führt, dass man Dienst nach Vorschrift macht.
Die heutigen Unternehmensübernehmer gehen Management oftmals ganz anders an. Sie haben insbesondere ein anderes Verständnis von Mitarbeiterführung. Vielen ist es ein wichtiges Anliegen, dass Mitarbeiter über neue Wege nachdenken, Ideen kommunizieren, sich in die Prozessgestaltung einbringen. In unseren Gesprächen mit Übernehmern hören wir oft, dass die Kollegen als Mit-Unternehmer angesehen werden, mit großer Wertschätzung. Das setzt natürlich einen anderen Anspruch an den Führungsstil des Chefs und ein hohes Maß an Flexibilität im Denken voraus. Für ihn ist es ungemein wichtig, sich auf sein Team verlassen zu können. Denn moderne Unternehmer sehen sich eher als Impulsgeber, Wachstumspotenzialfinder, strategische Weichensteller und Netzwerker. Interessante Interviews dazu finden Sie u.a. in den „Unternehmenszukunft Sachsen“-Broschüren (SS14, S. 10 und 14; WS12/13, S. 06 u. 08)
Mitarbeiter müssen erst lernen, mit der neuen Führungsart zurechtzukommen. Überzeugt sein, dass ihr Wissen und auch ihre Meinung etwas zählt. Dass Mitdenken gewünscht und gefördert wird.
Ganz wichtig ist diese Erkenntnis bei Führungskräften und Mitarbeitern, wenn es um zukunftsorientierte Veränderungsprozesse im Unternehmen geht. Bei der gestrigen Fachtagung im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin standen Personalentwicklung und Qualifizierung für das 4.0-Industrie-Zeitalter im Fokus. Alle Referenten waren sich einig, dass es vor allem die Mitarbeiter sind, die man mitnehmen müsse. Na klar, wie denn sonst bitte?! Erfahrungswissen zu Prozessen und Arbeitsschritten haben doch in erster Linie die, die es tagtäglich machen.
Es ist Aufgabe der Chefetage, die richtigen Impulse zu geben, um in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben. Interessant die Einschätzung von Prof. Gunther Olesch, Geschäftsführer der Phoenix Contact GmbH&Co KG. Er spricht von der Notwendigkeit einer neuen Spezies von Führungskräften, die sich eher als Coaches und Changeleader verstehen. Nicht mehr alles selber machen, sondern Macht abgeben lautet die Herausforderung.
Unternehmen befinden sich also, wie seit jeher, mittendrin in Wandlungsprozessen. Und als Kapitän muss man die Mannschaft auf Kurs halten, sie von notwendigen Veränderungen überzeugen und Begeisterung für Neues wecken. Das setzt ein hohes Informationslevel und ehrliche Kommunikation im Unternehmen voraus, sowie Motivation für lebenslanges Lernen. Aktuell schätzen mehr als drei Viertel deutscher Unternehmerinnen und Unternehmer, dass für einen Großteil ihrer Beschäftigten in den kommenden fünf bis zehn Jahren *Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit (78%) sowie *Planungs- und Organisationsfähigkeit/Selbstständigkeit (76%) wichtiger werden (siehe „Digitale Bildung“, BMWi 11/2016).
Wenn man in der Gründer- und Nachfolgeszene unterwegs ist, lässt die derzeitige Stimmung dafür Optimismus zu. Mitarbeiter und Projektpartner vernetzen sich über App-Entwicklungen, in Cloud-Umgebungen. Co-working spaces und mitarbeiterfreundliche Arbeitszeitmodelle schaffen Spielräume für die kreative Arbeitsgestaltung miteinander. Schulungen direkt am Arbeitsplatz über Virtual Reality-Brillen oder realtime-Videos erhöhen den Wissensstand der Mitarbeiter. Das ist spannend zu beobachten. Und stellt hohe Anforderungen an die Unternehmensführung, die in diesen agilen Arbeitsumgebungen den Überblick behalten muss.
Wie sind Ihre Erfahrungen als Übernehmer? Welche Wege haben Sie zur Mitarbeitermotivation gefunden? Und wie behalten Sie den Überblick?
Auf Ihr feedback freut sich das „Projekt:Nachfolge:Team“ der TUCed und grüßt herzlich.